Da mach ich zwei Kreuze!
Eigentlich hätten wir ja bis September Zeit gehabt, doch die gescheiterte Vertrauensfrage des Bundeskanzlers beschleunigt den Gang zur Urne deutlich und hat vorgezogene Neuwahlen notwendig gemacht. Deshalb heißt es nun am 23. Februar zum 21. Mal in der Geschichte der Bundesrepublik: Auf geht’s zur Bundestagswahl! Das gab es übrigens schon dreimal zuvor; auch 1972, 1983 und 2005 musste der Bundestag vorzeitig aufgelöst und vorgezogenen Neuwahlen anberaumt werden.
Kein Beitrag ohne qualifizierten Expertenrat und Holger Albertzarth, Leiter unseres Fachbereichs Kommunalwesens, ist hier natürlich unsere „erste Wahl“.
Für Holger Albertzarth ist diese Bundestagswahl bereits die achte Wahl in seiner Amtszeit. Das Procedere davor, die Hochspannung am Wahltag selbst und auch die Analysen im Anschluss kennt er gut.
Bei der anstehenden Bundestagswahl darf er sich zwar „etwas“ entspannen, denn die Kreiswahlleitung übernimmt diesmal das Landratsamt Landsberg am Lech. Mit unseren Nachbarn wechseln wir uns mit der Wahlleitung im Wahlkreis Starnberg - Landsberg am Lech - Germering seit neuestem ab.
Dennoch gibt es auch für Holger Albertzarth einiges zu tun, Wahlen sind eben kein Tagesgeschäft. Gerade wurden fünf Paletten mit den Stimmzetteln für unsere rund 105 000 Wahlberechtigten im Landkreis Starnberg angeliefert und postwendend an die Gemeinden verteilt. Die Zeit drängt.
Mitten im Trubel hat sich Holger Albertzarth dennoch etwas Zeit genommen, um uns einige Fragen zu beantworten.
Landeswahlleiter Thomas Gößl äußerte kürzlich, dass er keine Zweifel habe, dass bei diesen Wahlen - trotz der knappen Fristen - alles klappen wird. Sehen Sie das auch so oder sind vorzeitige Neuwahlen doch etwas spezieller?
"Auch ich habe da überhaupt keine Bedenken. Natürlich sind die Fristen bei vorzeitige Neuwahlen knapp gestrickt, aber alle haben sich rechtszeitig darauf eingestellt und das Notwendige veranlasst."
Bemerken Sie Veränderungen in den letzten Jahren, was das gesamte Wahlgeschehen angeht?
"Die Abläufe sind unverändert, aber ich nehme durchaus ein wachsendes Misstrauen den Wahlbehörden gegenüber wahr. Es stimmt mich schon etwas nachdenklich, dass man insbesondere Wahlhelfern und Wahlleitern zunehmend kritisch auf die Finger schaut und immer mehr Wahlbeobachter in den Wahllokalen auftauchen. Was grundsätzlich legitim ist, unsere Wahlen sind öffentlich, auch die Auszählungen. Wenn aber ausgerechnet die Integrität derjenigen angezweifelt wird, die sich in ihrer Freizeit als Wahlhelfer engagieren, halte ich das persönlich schon für bedenklich. Allgemein kann man sagen, dass der Ton ein anderer geworden ist."
Apropos Misstrauen: Kann man Wahlbetrug bei uns eigentlich ausschließen?
"Selbst mit viel Fantasie kann ich mir nicht vorstellen, wie das funktionieren sollte. Wir bedienen uns nicht eines IT-gestützten Auszählungsverfahrens, es wird nach wie vor von Hand ausgezählt, „Hacker“ haben somit keine Chance. Dank „Mehr-Augen-Prinzip“, Kontrollzählungen und Dokumentationspflicht kann hier eigentlich nichts manipuliert werden. Auch verhindert die dezentrale Organisation unserer Wahl einen Wahlbetrug; wir haben in Deutschland 299 Wahlkreise! Da müsste schon in sehr vielen Wahllokalen und bei weiteren Beteiligten etwas nicht mit rechten Dingen zugehen, damit man in einem einzigen Wahlkreis überhaupt einen spürbaren Effekt erreichen kann."
Ein paar Neuigkeiten wird es ja bei dieser Wahl geben, denn erstmals kommt das durch eine 2023 beschlossene Reform geänderte Zuteilungsverfahren zur Anwendung. Können Sie uns erklären, was das bedeutet? Wird´s jetzt noch komplizierter?
"Gar nicht, im Gegenteil, eine Reform soll ja Erleichterungen bringen. Ich versuche es mal kurz zu machen: Die Zweitstimme hat jetzt an Bedeutung gewonnen. Mit ihr wird die Landesliste einer Partei gewählt. Die Zahl der Zweitstimmen entscheidet darüber, wie viele Sitze eine Partei im Bundestag erhält und ist daher die wichtigere."
Jede Wahl bedeutet eine enorme zusätzliche Arbeit, insbesondere für die Gemeinden. Grippewelle, Personalnot, läuft bei den Gemeinden alles rund?
"Die Wahl ist eine Staatsaufgabe und dessen ist sich jede Gemeinde bewusst. Unsere Kommunen sind alle bestens vorbereitet und auch für personelle Ausfälle gerüstet. Vergessen wir nicht, selbst Pandemien und akute Hochwassersituationen wurden gemeistert! Natürlich bedeutet eine Wahl jede Menge zusätzliche Arbeit und gerade bei kleinen Gemeindeverwaltungen wird am Ende fast jeder damit in irgendeiner Weise beschäftigt sein. Das ist immer wieder eine gewaltige Gemeinschaftsleistung."
Sie haben ja auch nebenbei Staatsrecht an der Bayer. Verwaltungsschule unterrichtet, sind junge Menschen tatsächlich so politisch desinteressiert wie behauptet wird?
"Ich denke, das ist gar nicht so altersabhängig. Aber ich muss schon feststellen, dass man heutzutage zwar sehr schnell eine Meinung hat, aber erschreckend wenig Wissen über unseren ganzen Staatsaufbau vorhanden ist. Gerade im Hinblick darauf, wie schnell und ungefiltert man Meinungen mittlerweile an viele andere weitergeben kann, halte ich das für durchaus gefährlich. Auch das hat mich motiviert, Staatsrecht zu unterrichten und damit meinen Beitrag zur mehr politischer bzw. staatsrechtlicher Bildung zu leisten. Wie funktioniert unser Staat überhaupt, wie ist er aufgebaut, wer macht was; all das sollte doch jeden interessieren, immerhin betrifft es uns alle, direkt oder indirekt. Wer sich auskennt, wird automatisch souveräner im Umgang mit politischen und rechtlichen Themen. Wenn man von seinen Schülern am Ende eines Kurses gesagt bekommt, wie sehr ihnen dieses Wissen jetzt auch in ihrem Alltag weiterhilft, macht das schon ein bisschen stolz."
Für all diejenigen, die das Wahlfieber immer noch nicht gepackt hat, haben wir uns gemeinsam mit Holger Albertzarth noch ein paar Denkanstöße überlegt, wie wir Wahlmüdigkeit, Politikverdrossenheit oder dem schlichten Desinteresse entgegenwirken können. Die „Frage aller Fragen“ mit einem Satz zu beantworten, gelang uns zwar nicht, aber wir fassen es so kurz wie möglich:
Warum wählen?
1. Weil`s mein Recht und auch ein Privileg ist! Nur das Volk kann seine Vertreterinnen und Vertreter bestimmen. Dank Artikel 20 des Grundgesetzes kann jeder Wahlberechtigte aktiv an der Demokratie mitwirken. Das ist in vielen Ländern übrigens nicht selbstverständlich!
2. Jede Stimme zählt! Ein Wahlergebnis ist schließlich nur die Summe von lauter einzelnen Stimmen. Die Entscheidung, wer das Land regiert, könnte von wenigen Stimmen abhängen - im Zweifel genau von meiner.
3. Nichtwählen aus Protest - das funktioniert nicht! Meine Stimme fällt einfach unter den Tisch, damit „bestrafe“ ich keine Partei. Ich wähle, denn damit ziehe ich die eine Partei den anderen vor.
4. Wählen schützt vor Extremismus! Je geringer die Wahlbeteiligung, desto einfacher können extremistischen Strömungen unsere Gesellschaft und die Politik beeinflussen.
5. Wählen bedeutet, Verantwortung zu übernehmen! Die Politik entscheidet heute über viele Themen von morgen, die mein tägliches Leben betreffen. Auch wenn ich gerade mit ganz anderen Dingen beschäftigt bin: Die Zukunft meiner Heimat ist mir wichtig.
6. Weil andere entscheiden, wenn ich nicht wähle! Werden Stimmen nicht abgegeben, gehen sie verloren. Gehe ich nicht wählen, bleibe ich stumm.
7. Wählen ist Bürgerpflicht?! Niemand ist gezwungen, zur Wahl zu gehen. Ich habe die Freiheit dazu - und will sie nutzen. Eine Demokratie kann nur dauerhaft bestehen, wenn sich die Bürgerinnen und Bürger an ihr beteiligen.